Die „höhere Hypothese“ für den Frieden

Die „höhere Hypothese“ für den Frieden
Am 8. Mai beginnt die Feier zum Sieg über Deutschland vor 80 Jahren im Zweiten Weltkrieg. Hier wird in Moskau 1945 der Siegeszug begangen. Foto: Mos.ru

Der Vorschlag des russischen Präsidenten Wladimir Putin für einen dreitägigen Waffenstillstand vom 8. bis 10. Mai – „Die russische Seite bekräftigt ihre Bereitschaft, ohne Vorbedingungen in Friedensgespräche einzutreten, um die Ursachen der Krise in der Ukraine zu beseitigen und eine konstruktive Interaktion mit den internationalen Partnern aufzubauen“ – wurde im Westen mit Panik und Spott aufgenommen. Diese Reaktion und Ablehnung kommt sowohl von Vertretern der Ukraine – wenn auch nicht unbedingt von der Bevölkerung – als auch vom „Russiagate-Medienzirkus“, d.h. von den üblichen Verdächtigen der anglo-amerikanischen Geheimdienste, die manchmal euphemistisch als „Legacy-Medien“ bezeichnet werden.

Der Grund für die Zurückweisung liegt nicht, wie behauptet wird, in der kurzen Dauer des vorgeschlagenen Waffenstillstands – drei Tage. Bekanntlich gab es bereits im März einen von Donald Trump initiierten 30-tägigen Waffenstillstand, dem Russland und die Ukraine zugestimmt hatten und der nicht eingehalten wurde. Der Grund für die Besorgnis über den neuen Vorschlag Putins liegt darin, wie er zeitlich auf die aktuelle historische Lage abgestimmt ist.

Der Vorschlag hat einen „isochronen“ Charakter. Das bedeutet, dass eine solche Aktion am 8. und 9. Mai nicht nur implizit den Triumph der „Vier Freiheiten“, wie Präsident Franklin Delano Roosevelt sie nannte, über die „Vier Reiter der Apokalypse“ feiert. Mit dem Waffenstillstand an diesem Tag verpflichtet sich die Menschheit – nicht nur die Ukraine, Russland oder die USA – dazu, einen erkennbaren und erfolgreichen Weg aus der Hölle einzuschlagen.

Der Waffenstillstand beginnt am 8. Mai, dem „Tag des Sieges in Europa“, dem 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs. In Russland wird er am 9. Mai gefeiert, da das offizielle Kriegsende auf den 8. Mai 1945 um 23.01 Uhr mitteleuropäischer Zeit (MEZ) fiel, d.h. in den 11 Zeitzonen Russlands und der Sowjetunion um 00.01 Uhr und später am 9. Mai 1945. Am 8. und 9. Mai wurde der Sieg über den Faschismus gefeiert, bevor fälschlicherweise behauptet wurde, der Sieg sei mit dem Einsatz und dem Abwurf der Atombombe verbunden gewesen – etwas, was Präsident Roosevelt nicht befohlen hätte.

Das Jahr 2025 wird der letzte große Jahrestag sein, an dem die überlebenden Veteranen des Zweiten Weltkriegs noch am Leben sein werden. Im Jahr 2024 lebten in Russland erstaunlicherweise noch 75.000 Veteranen des Zweiten Weltkriegs und zu Beginn dieses Jahres 66.000 amerikanische Veteranen. Viele von ihnen, vor allem in Russland, waren nicht älter als 12 oder 13 Jahre – manche sogar jünger –, als sie kämpften und vielleicht sogar starben, um ihr Land zu verteidigen.

Es gibt auch die Aktion des „Unsterblichen Regiments“, das weithin mit Russland identifiziert wird und bei dem die Bilder der Gefallenen von ihren Nachkommen getragen werden, damit sie in der Nachwelt weiter marschieren, kämpfen und triumphieren können. Das ist nicht symbolisch, sondern isochronisch – die Verkörperung jenes Einsatzes, für den nicht nur 27 Millionen Russen, sondern zig Millionen Menschen auf der ganzen Welt, Soldaten wie Zivilisten, ihr Leben gegeben haben. (Es wird selten erwähnt, aber 100 Millionen Chinesen waren während dieses Krieges Flüchtlinge im eigenen Land; die Zahl der zivilen und militärischen Opfer in China dürfte bei über 20 Millionen liegen). Die Feier dieses Sieges, nicht nur über den Faschismus, sondern auch im Sinne des „Siegs der menschlichen Natur über das Böse“, wäre es wert, begangen zu werden, auch durch einen Waffenstillstand, der diesem Einsatz vor 80 Jahren gewidmet ist.

In diesem Zusammenhang wird der Begriff des „Friedens ohne Vorbedingungen“ von seiner rein geopolitischen Bedeutung befreit und erhält ein tiefergehendes Verständnis. Das ist notwendig, denn es muss eine „höhere Hypothese“ für den Frieden geben. Wie die ehemalige österreichische Außenministerin Karin Kneissl in einem Interview sagte: „Es geht nicht nur um bilaterale oder trilaterale Beziehungen – zwischen Moskau, Kiew und Washington – sondern um eine tiefgreifende Umgestaltung des gesamten Sicherheitssystems in Europa. Das Thema steht auf der Tagesordnung, und Moskau fordert seit langem, dass es angegangen wird. Einfach nur einen Waffenstillstand um die Ukraine auszuhandeln, wird das Problem nicht lösen, denn seine Wurzeln liegen viel tiefer.“

Und die thermonukleare Bedrohung ist noch keineswegs ganz unter Kontrolle. Der ehemalige russische Sicherheitsratschef Nikolaj Patruschew beschuldigte gestern in einem TASS-Interview die westlichen Mächte, „ihre Militärmaschinerie gegen Russland einzusetzen und über nukleare Weltuntergangsszenarien zu phantasieren.“ Er sagte, die Destabilisierung gehe von Brüssel, Berlin, Paris und London aus. Der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance wies darauf hin, dass „in den Mainstream-Medien die seltsame Vorstellung vorherrscht, dass, wenn die Sache noch ein paar Jahre weitergeht, die Russen zusammenbrechen, die Ukrainer ihr Gebiet zurückerobern und alles wieder so wird, wie es vor dem Krieg war. Das ist nicht die Realität, in der wir leben…“

Die Vereinigten Staaten stehen, wie die ganze Welt, an einem Scheideweg. Es gibt den neoimperialistischen Weg des katastrophalen Vietnamkrieges, der heute vor 50 Jahren, am 30. April 1975, schmachvoll endete, oder den Weg der Politik Roosevelts, der dem Imperialismus, auch in Gestalt des Faschismus, ein Ende setzte und nach dem Krieg Wohlstand vor allem im sogenannten Globalen Süden schaffen wollte. Auch wenn Putins Vorschlag für einen Waffenstillstand vom 8. bis 10. Mai nur ein erster Schritt ist, ist der Geist, in dem dieser Waffenstillstand vorangetrieben wird, der Geist des Unsterblichen Regiments der Veteranen des Zweiten Weltkriegs – die Grundlage für die Annahme der Prinzipien für eine neue Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur, die Gegenstand der Konferenz des Schiller-Instituts „Eine schöne Vision für die Menschheit in Zeiten großer Turbulenzen!“ am 24.-25. Mai ist.


Inhalt

STRATEGISCHE KRIEGSGEFAHR

  • Lawrow: Waffenstillstandsangebot zum Tag des Sieges beinhaltet direkte Verhandlungen ohne Vorbedingungen
  • Putin-Berater Patruschew: „Nukleare Untergangsszenarien“ treiben NATO an
  • Ukrainischer Abgeordneter: Unser SBU hat einen russischen General ermordet: Terrorismus ist unsere Zukunft
  • Ehemalige österreichische Außenministerin zur Friedensperspektive in der Ukraine

NEUES PARADIGMA

  • Xi Jinping feiert 10-jähriges Bestehen der BRICS-Bank

USA UND KANADA

  • US-Vizepräsident Vance: Zusammenbruch Russlands ist eine „verrückte Idee“ und birgt das Risiko eines Atomkriegs

ZUSAMMENBRECHENDES IMPERIALES SYSTEM

  • Ursache des landesweiten Stromausfalls in Spanien noch unklar
  • Düstere Zukunft für erneuerbare Energien nach massiven Stromausfällen in Spanien und Portugal
  • Ungarn und die Slowakei verbünden sich gegen die Drohungen Brüssels, ihnen das Wahlrecht zu entziehen

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